Elternunterhalt: Einsatz von Vermögen des auf Elternunterhalt in Anspruch Genommenen

BGH, Beschluss v. 07.08.2013, Az. XII ZB 269/12

Leitsätze:

a) Der Wert einer selbstgenutzten Immobilie bleibt bei der Bemessung des Altersvorsorgevermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt.

b) Sonstiges Vermögen in einer Höhe, wie sich aus der Anlage von 5 % des Jahresbruttoeinkommens ergibt, braucht vor dem Bezug der Altersversorgung regelmäßig nicht zur Zahlung von Elternunterhalt eingesetzt zu werden.

c) Zum so genannten Notgroschen, der einem Unterhaltspflichtigen gegenüber der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt zusätzlich zusteht.

Aus den Gründen:

"... 1. Zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass die Mutter des Antragsgegners grundsätzlich unterhaltsberechtigt ist. Die Unterhaltspflicht des Antragsgegners für sie steht zwischen den Beteiligten dem Grunde nach auch nicht im Streit. Die Mutter hat zwar vier Kinder, die an sich anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen für ihren Unterhalt haften (§ 1606 Abs. 3 BGB). Die in Deutschland lebende Tochter ist jedoch unstreitig nicht leistungsfähig. Die beiden anderen Töchter leben in Italien. Ihnen gegenüber ist die Rechtsverfolgung in Deutschland ausgeschlossen, so dass insoweit die Ersatzhaftung des Antragsgegners nach § 1607 Abs. 2 BGB eintritt. Denn zur Rechtsverfolgung gehört nicht nur die Geltendmachung des Anspruchs in einem gerichtlichen Verfahren, sondern auch seine Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung ... Dass die in Italien lebenden Töchter in Deutschland über Einkommen oder Vermögen verfügen, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. ... Unter solchen Umständen ist das Vollstreckungsverfahren im Inland aber aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen.

2. Der Bedarf der Mutter wird durch ihre Unterbringung in einem Pflegeheim bestimmt und entspricht grundsätzlich den dort anfallenden, nicht durch eigenes Einkommen gedeckten Kosten, soweit diese notwendig sind .... Die Notwendigkeit der Kosten hat der Antragsgegner auch nicht in Abrede gestellt (zu den Anforderungen an die Darlegungslast in diesem Fall vgl. Senatsurteil vom 21. November 2012 XII ZR 150/10 FamRZ 2013, 203 Rn. 15).
Neben den Heimkosten umfasst die der Mutter gewährte Hilfe einen Barbetrag nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Auch insoweit ist unterhaltsrechtlich ein Bedarf anzuerkennen. Ein in einem Heim lebender Unterhaltsberechtigter ist darauf angewiesen, für seine persönlichen, von den Leistungen der Einrichtung nicht erfassten Bedürfnisse über bare Mittel verfügen zu können, weil er andernfalls nicht in der Lage wäre, diese Bedürfnisse zu finanzieren. ...

3. Die Annahme des Beschwerdegerichts, der Antragsgegner sei aus seinem Einkommen zur Zahlung von Elternunterhalt auch nicht teilweise leistungsfähig gewesen, wird von den getroffenen Feststellungen allerdings nicht getragen.

a) Danach erzielte der Antragsgegner 2008 ein Jahresbruttoeinkommen von 27.497,92 €. Den Nettobetrag hat das Beschwerdegericht unter Heranziehung der seit dem 1. April 2011 geltenden Steuern und Beitragssätze ermittelt. Richtigerweise hätte das Einkommen für die Jahre 2008, 2009 und 2010 indessen unter Berücksichtigung der in den betreffenden Jahren jeweils maßgeblichen Abzüge für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge errechnet werden müssen, um die Leistungsfähigkeit in dem jeweiligen Jahr festzustellen. Die weiteren Abzüge für zusätzliche Krankenversicherungen, berufsbedingte Aufwendungen in Form von Fahrtkosten mit dem Pkw zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie Beitragszahlungen auf die beiden noch aufrechterhaltenen Lebensversicherungen in Höhe von 54,45 € und 18,63 € begegnen dagegen keinen Bedenken. Es steht mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang, dass die Kosten einer zusätzlichen Altersversorgung bis zu einer Höhe von 5 % des Jahresbruttoeinkommens des Unterhaltspflichtigen als abzugsfähig anerkannt werden können. ...

b) Die Vorteile aus der Nutzung der im Alleineigentum des Antragsgegners stehenden Eigentumswohnung hat das Beschwerdegericht nicht in die Ermittlung der Leistungsfähigkeit aus dem Einkommen einbezogen. Diese wird jedoch nicht nur durch die Erwerbseinkünfte des Unterhaltspflichtigen, sondern in gleicher Weise durch Vermögenserträge und sonstige wirtschaftliche Nutzungen bestimmt, die er aus seinem Vermögen zieht. Dazu können auch die Gebrauchsvorteile eines Eigenheims zählen, denn durch das Bewohnen eines eigenen Hauses oder einer Eigentumswohnung entfällt die Notwendigkeit der Mietzahlung, die in der Regel einen Teil des allgemeinen Lebensbedarfs ausmacht. Soweit bei einer Gegenüberstellung der ersparten Wohnkosten und der zu berücksichtigenden Belastungen der Nutzungswert eines Eigenheims den Aufwand übersteigt, ist die Differenz zwischen den beiden Beträgen dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen zuzurechnen. ... Der Wohnwert ist bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt nicht mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete, sondern auf der Grundlage der unter den gegebenen Verhältnissen ersparten Miete zu bemessen. ...

4. Auch die Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners aus seinem Vermögen ist nicht in allen Punkten rechtsbedenkenfrei.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass ein Unterhaltspflichtiger nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen muss. Eine allgemeine Billigkeitsgrenze, wie sie § 1577 Abs. 3 BGB und § 1581 Abs. 2 BGB für den nachehelichen Ehegattenunterhalt vorsehen, enthält das Gesetz im Bereich des Verwandtenunterhalts nicht. Deshalb ist auch hinsichtlich des einsetzbaren Vermögens allein auf § 1603 Abs. 1 BGB abzustellen, wonach nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Hierzu außer Stande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt (Senatsurteile BGHZ 169, 59, 67 f. = FamRZ 2006, 1511, 1513 mwN und vom 21. November 2012 XII ZR 150/10 FamRZ 2013, 203 Rn. 33). Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstamms ergeben sich daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Eine Verwertung des Vermögensstamms kann deshalb nicht verlangt werden, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt (Senatsurteile BGHZ 169, 59, 68 = FamRZ 2006, 1511, 1513 mwN und vom 21. November 2012 XII ZR 150/10 FamRZ 2013, 203 Rn. 34).

b) Zu dem eigenen Unterhalt sind auch Leistungen für eine angemessene Altersversorgung zu rechnen, die neben der primären Altersversorgung auch solche für eine zusätzliche Altersversorgung umfasst (st. Rspr., vgl. Senatsurteile BGHZ 169, 59, 69 f. = FamRZ 2006, 1511, 1514; vom 21. November 2012 XII ZR 150/10 FamRZ 2013, 203 Rn. 38 und vom 19. März 2003 XII ZR 123/00 FamRZ 2003, 1179, 1182). Ist dem Schuldner des Anspruchs auf Elternunterhalt aber gestattet, die zur eigenen Alterssicherung notwendigen Beträge zusätzlich zurückzulegen, dann müssen auch die so geschaffenen Vermögenswerte als Alterssicherung dem Zugriff des Unterhaltsgläubigers entzogen bleiben, um den Zweck der Alterssicherung erreichen zu können, soweit sie hierfür tatsächlich erforderlich sind (Senatsurteil BGHZ 169, 59, 70 = FamRZ 2006, 1511, 1514). ...

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten nicht entgegensteht, wenn er (bezogen auf den Zeitraum 1996/1997) noch über ein Vermögen in Höhe von 4.500 DM verfügt, von dessen Verwertung die Gewährung von Sozialhilfe nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG (jetzt: § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 b der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung vom 11. Februar 1988ung der Verordnung vom 23. Oktober 1981 nicht abhängig gemacht werden durfte. Dem Unterhaltsberechtigten sei eine gewisse Vermögensreserve als sogenannter Notgroschen für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-)Bedarfs zu belassen. Was die Höhe des sogenannten Notgroschens anbelangt, hat der Senat die Meinung geteilt, nach der regelmäßig zumindest der Schonbetrag nach § 88 Abs. 1 Nr. 1 BSHG in Verbindung mit der Durchführungsverordnung zu belassen ist (Senatsurteil vom 17. Dezember 2003 XII ZR 224/00 FamRZ 2004, 370, 371).
Für den Unterhaltspflichtigen kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Auch bei ihm kann sich aus den Wechselfällen des Lebens ein unerwarteter Bedarf ergeben, den er aus seinem laufenden Einkommen nicht zu befriedigen vermag. Hinsichtlich der Höhe eines Notgroschens ist aufseiten des Unterhaltspflichtigen aber grundsätzlich ein großzügigerer Maßstab als beim Unterhaltsberechtigten anzulegen, der fremde Hilfe zur Deckung seines Lebensbedarfs in Anspruch nimmt. Deshalb stellt der sozialhilferechtliche Schonbetrag die untere Grenze dar. Darüber hinaus wird vertreten, für Notfälle seien jedenfalls drei Netto-Monatsgehälter zu reservieren (Hauß Elternunterhalt 4. Aufl. Rn. 514), teilweise wird weitergehend angenommen, ein Schonbetrag von 10.000 € bis 26.000 € sei unabdingbar, auch um dem durch die Pflegeversicherung nur unzulänglich abgesicherten Risiko der Folgen der Pflegebedürftigkeit oder der Gefahr einer langjährigen Erkrankung begegnen zu können (MAH Familienrecht/Günther 3. Aufl. § 11 Rn. 93: 10.000 € bis 25.000 €; Scholz/Kleffmann/Motzer/Soyka Praxishandbuch Familienrecht Stand Januar 2013 Teil J Rn. 44; Heiß/Born/Hußmann Unterhaltsrecht 13. Kap. Rn. 74: 26.000 €). Die Höhe eines Betrages für Notfälle lässt sich nach Auffassung des Senats allerdings nicht pauschal festlegen; vielmehr hängt es von den Umständen des Einzelfalls, wie den Einkommensverhältnissen und sonstigen Unterhaltsverpflichtungen, ab, in welchem Umfang hierfür Mittel zu belassen sind. Im vorliegenden Fall, in dem der alleinstehende, kinderlose Antragsgegner über ein Erwerbseinkommen unterhalb des Selbstbehalts verfügt, erscheint jedenfalls der vom Antragsteller eingeräumte Betrag von 10.000 € ausreichend. ..."

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